Frage aus dem Publikum © Gerolf Mosemann

Europa zu Gast in Oschersleben

„Ja, wir wollen bei der zukünftigen Gestaltung Europas mitmischen. In diesen Prozess haben wir uns schon seit langem eingebracht“. Mit diesem Statement eröffnete Benjamin Kanngießer das Europagespräch am 5. Februar 2019 in der Burg in Oschersleben. Er verwies auf die vielen kleinen und großen Investitionen in der Stadt und im Umland, die ohne EU-Fördergelder nicht möglich gewesen wären. Auch für die Landwirtschaft, die in der Region ein bedeutender Wirtschaftszweig ist, fließen neben den Agrarsubventionen auch die EU-Gelder für Natur- und Umweltschutz.

Über vierzig Interessenten waren der Einladung der Stadt Oschersleben gefolgt, gemeinsam mit Vertretern der Europäischen Kommission, der Staatskanzlei des Landes Sachsen-Anhalt und des Landtages über ihre Fragen und Meinungen zu Europa zu diskutieren. Jochen Kubosch vom Rednerdienst „Team Europe“ der Europäischen Kommission unterstrich die Bedeutung gemeinsamer Regeln für das Funktionieren des europäischen Binnenmarktes: “Das ist notwendig, um als Wirtschaftsgemeinschaft mit anderen Wirtschaftsregionen in der Welt erfolgreich zusammenarbeiten zu können. Diese Regeln werden von der EU-Kommission vorgeschlagen, aber gemeinsam von allen Mitgliedstaaten entschieden und stellen letztendlich für jedes Mitgliedsland einen Kompromiss dar.“

Rainer Robra, Europaminister von Sachsen-Anhalt, wünschte sich eine Stärkung der Rolle des Europäischen Parlaments durch das Recht, Initiativen für europäische Regelungen vorzuschlagen.

Als überzeugte Europäerin forderte Landtagspräsidentin Gabriele Brakebusch, dass sich jeder Bürger mit Europa auseinandersetzt. „Es ist gut, dass wir in einer historisch langen Zeit im Frieden leben. Doch ich wünsche mir mehr europäische Fachkompetenz z.B. im Agrarsektor. Man kann aber nur mehr einfordern, wenn man auch bereit ist, selbst mitzuarbeiten.“

Ein Teilnehmer aus dem Bereich der Landwirtschaft beklagte die wenigen Mitspracherechte z.B. bei der Düngemittelverordnung und diesbezügliche Klagen der EU gegen Deutschland und bot sich an, bei fachlichen Stellungnahmen mitzuarbeiten. Sein Eindruck war, dass beim Thema „Natura 2000“ die EU-Regelungen durch Landesvorgaben weiter verschärft werden. Kubosch hielt dem entgegen, dass Vorgaben auch in Deutschland durch das föderale System immer ein Kompromiss sind, da auch die Bundesländer zu verschiedenen Themen unterschiedliche Haltungen vertreten.

Als ein gutes Mittel, um Europa kennenzulernen, verwies ein Teilnehmer auf das Interrail-Ticket. „Diese Reisen vermitteln eine positive Sicht auf Europa“. Am Beispiel der umstrittenen Entscheidung zur Verwendung von Glyphosat machte ein Teilnehmer die Zielkonflikte in verschiedenen europäischen Politikbereichen deutlich.  Robra antwortete, dass in Europa hohe Standards für den Einsatz von Chemikalien gelten, die lokal auch zu Diskrepanzen führen können. Doch grundsätzlich würden Standards innerhalb der EU immer weiter angehoben, was insgesamt ein Riesenfortschritt  für die EU bedeute. Die Wirtschaft würde beim Anpassungsprozess unterstützt.

Ein weiterer Teilnehmer wandte sich mit einer Frage zu Rassismus und Rechtsextremismus in der Ukraine an die Gesprächspartner. Dazu verwies Kubosch darauf, dass EU-Gelder, die für die Zusammenarbeit mit Drittstaaten zur Verfügung stehen, an den Aufbau rechtstaatlicher Strukturen gebunden sind und dahingehend auch kontrolliert werden. Die Entwicklungen in den Drittländern, mit denen die EU zusammenarbeitet, werden in einem jährlichen Bericht zur Europäischen Nachbarschaftspolitik analysiert und Maßnahmen zur Umsetzung vorgeschlagen.

Robra unterstrich, dass das Prinzip der Rechtstaatlichkeit in den Regelungen zwischen den Mitgliedstaaten gilt und würdigte dies als historische Einzigartigkeit und als eine der größten Leistungen im Nachkriegseuropa.

Teilnehmer aus verschiedenen Schulen berichteten, wie durch Schüleraustausche „Europa von innen zusammenwächst“. Doch die Vorbereitung, Beantragung und Durchführung dieser Austausche benötigen mehr Unterstützung, z.B. durch Erhöhung der Zahl der Anrechnungsstunden für die Lehrer, die bisher einen Großteil der Leistung in ihrer Freizeit erbringen. Für die Beantragung und Abrechnung wurde eine Vereinfachung der Regelungen, z.B. durch Pauschalen gefordert. Robra verwies auf verschiedene Unterstützungsmöglichkeiten für Schulen in Sachsen-Anhalt und nannte beispielsweise die Europe Direct Informationszentren in Halle und Magdeburg, GOEUROPE! und die Landeszentrale für politische Bildung, die gerade auch für Schulen spezielle Angebote bereithalten würden.

Diskutiert wurde auch die Frage, wie angesichts der oft kritisierten „Regelungswut“ Brüssels, die Akzeptanz der EU verbessert werden könne. Hier verwies Robra auf die bereits unternommenen Anstrengungen zur Entbürokratisierung und unterstrich die stete Forderung der Länder an die EU-Kommission EU-Förderprogramme zu vereinfachen.

Zur Frage des Status von Deutschland als „Nettozahler“ in Europa kam sogar aus dem Publikum Widerspruch: ein Diskussionsteilnehmer verwies auf die vielen Vorteile, die Deutschland als Exportweltmeister von funktionierenden Wirtschaften in den anderen Mitgliedstaaten hat.

Weitere Themen der Diskussion war die effizientere Gestaltung der EU, Fragen zur Außen- und Sicherheitspolitik Europas und zur zukünftigen Gestaltung Europas.

Fragen des Kartellrechts, der Digitalisierung, der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik oder Bekämpfung von Migrationsursachen kann ein Staat allein nicht mehr lösen. Diese müssen gemeinsam auf europäischer Ebene gelöst werden. Doch andere Fragen, die auf lokaler und regionaler besser gelöst werden können, sollen auch dort geregelt werden. Die These, dass Regionen wie z.B. die Bundesländer und die gemeinsamen Institutionen Europas zukünftig gestärkt würden und die Nationalstaaten gleichzeitig an Bedeutung verlieren könnten, wurde ebenfalls kontrovers diskutiert.

Minister Robra stellte hierzu fest, dass die Regionen und Länder sind darauf einstellten zukünftig mehr Entscheidungsbefugnisse auf europäischer Ebene zu erhalten. „Europapolitik ist für uns Innenpolitik“, so Robra.

Für viele Menschen ist die Europäische Union sehr abstrakt und Brüssel weit weg. Es ist daher wichtig zu zeigen, was die EU für den ländlichen Raum wie Oschersleben bedeutet und wie wir alle von ihr profitieren.

Benjamin Kanngießer - Bürgermeister Oscherleben (Bode)

Europagespraeche - Bürgermeister Benjamin Kanngießer

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