Europa ist wichtig und es betrifft uns an jedem Tag.

So lautete das Fazit des Europagesprächs, das am 01. November 2021 im Ratssaal der Stadt Zerbst (Anhalt) stattfand.
Unter der Moderation von Tobias Meyer kamen Rainer Robra, Europaminister des Landes Sachsen-Anhalt, Andreas Dittmann, Bürgermeister der Stadt Zerbst, und Paul-Joachim Kubosch, Team-Europe-Referent der Europäischen Kommission mit interessierten Bürgerinnen und Bürgern ins Gespräch.

Europagespräch im Ratssaal Zerbst (Anhalt) | Europagespräche Sachsen Anhalt 2021 in Zerbst

Viele Fragen drehten sich um die Rolle und den Stellenwert Europas in den Kommunen.

Ohne Europa hätten wir nur einen Bruchteil der Investitionen tätigen können

, betont der Europaminister. „Es gibt keinen Förderbereich, in dem nicht zumindest ein kleiner Anteil EU-Fördermittel mit drinhängt“, ergänzte auch der Bürgermeister. Er verwies auf verschiedene Projekte, die oft unbemerkt bleiben, wie die Pflasterung auf dem Marktplatz, den Einbau eines Fahrstuhls im Schloss, sowie den Ausbau des Elberadweges. Der Elbe zu ihrem Ursprung folgend bemerkt Rainer Robra zudem, dass Europa als Gleichmacher wirke, wie allein die nunmehr hohe Wasserqualität des Flusses bezeuge. Auch Andreas Dittmann stellt fest, dass der europäische Angleichungsprozess stabilisierend und befriedend auf die europäische Gemeinschaft wirke.

Dennoch mangele es noch immer an der Europakompetenz des Verwaltungspersonals auf verschiedenen Ebenen.

Es fehlen Strukturen und das Personal für die Bearbeitung von Europaprojekten und -Fördermaßnahmen

bemängelt Bianca Laukat, Europabeauftragte des Landkreises Anhalt-Bitterfeld, und fordert die Förderung und den Ausbau der Angebote und Kapazitäten hinsichtlich der administrativen Europakompetenz. Trotz der anhaltenden Bestrebungen zum Abbau der Bürokratie lässt sich feststellen: „Irgendwo im großen Europa findet man immer ein Förderprojekt, wo nicht vollständig dokumentiert wurde, wo das Geld geblieben ist“, so Paul-Joachim Kubosch. Und deswegen ist die Aufrechterhaltung eben jener Kontroll- und Erhebungsmaßnahmen aus Sicht der europäischen Institutionen weiterhin notwendig.

Auch daraus ergibt sich eine im besten Fall durchwachsene Wahrnehmung Europas in der Zivilbevölkerung. Ein Teilnehmender merkt an, dass bisweilen „ein totales Desinteresse an der Europäischen Union“ in weiten Teilen der europäischen Bevölkerung zu beobachten sei. Daher seien Bildungsinitiativen in allen Generationen vonnöten. Dies beinhalte auch die Integration Europas bzw. der Europäischen Union (EU) in allen Lehrplänen der Mitgliedstaaten.

Doch wie steht es um die Erlebbarkeit Europas?

Europa ist mehr als nur die Autokennzeichen

, bemerkt der Bürgermeister schmunzelnd und hebt die herausragende Rolle von Europaschulen hervor. Dabei gibt ein Bürger zu bedenken: „Das, wo uns die EU hilft, das kommt nicht an. Die EU wird als etwas gesehen, das nicht funktioniert und das man nicht verstehen kann“. Aus dieser Diskrepanz entsteht ein Unverständnis seitens der Bürgerinnen und Bürger, das in Radikalisierung erwachsen kann. Daher rät der Europaminister: „Wir müssen uns davon lösen, das institutionelle Gefüge komplett verstehen zu wollen“. Stattdessen solle der Fokus auf der inhaltlichen Ebene und der Mitwirkung daran liegen. Auch der Team-Europe-Referent gesteht: „Europa ist kompliziert und wird auch immer kompliziert bleiben“. Dies liege jedoch vor allem an der „EU als große Kompromissmaschine“, wodurch alles nur schwer durchschaubar wird.

Somit stellt Darstellung und Vermittlung Europas eine große Herausforderung dar. „Die Europa-Themen sind ein bisschen ein Saisongeschäft“, räumt Paul-Joachim Kubosch ein. Um dem entgegenzuwirken, müsse für den europäischen Gedanken und die Partizipation an den zahlreichen europaweiten Beteiligungsprozessen geworben werden. Denn auch die europäische Integration ist nur ein Menschenwerk, so Rainer Robra.

Europa sind nicht nur die da in Brüssel, Europa sind wir alle

, ruft der Team-Europe-Referent allen Anwesenden in Erinnerung. Gerade deswegen müsse man „Europa den Bürgerinnen und Bürgern näherbringen“, fordert Frank Leeb vom Europe Direct Center Magdeburg. Dies zeigt sich auch am Beispiel der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB). „Die EZB muss durch die Untiefen der Nationalisierung und Radikalisierung der Mitgliedstaaten schiffen“, stellt Paul-Joachim Kubosch fest. Diesem Trend müsse man durch aktive Information der europäischen Bevölkerung über Beweggründe für konkrete Entscheidungen entgegenwirken, denn „Die EZB ist besser als das Zusammenspiel von 27 nationalen Zentralbanken sein könnte“, gibt der Europaminister zu bedenken.

Mit Blick auf Polen und Ungarn kommt auch der Schutz der europäischen Werte zur Sprache. In diesem Zusammenhang betont Holger Hövelmann, Mitglied des Landtags: „Die Europäische Union soll mehr sein als nur die Chance, Geld zu bekommen“. Ob in Europa oder in der Welt ist die EU zugleich „die letzte Bastion für die Vertretung und den Erhalt der Werte sowie deren Durchsetzung als weltweiter Standard“, so der Team-Europe-Referent. Dies zeige sich z.B. in den Bereichen des Verbraucherschutzes und des Umweltschutzes, was erneut beweist: „Europa ist wichtig und es betrifft uns an jedem Tag“, auch wenn wir es vielleicht nicht immer sehen.

Die Idee der Europagespräche trifft bei mir als stellvertretendem Mitglied im Europäischen Ausschuss der Regionen natürlich auf offene Türen. Ganz praktisch ist heute Dorf- oder Stadtentwicklung ohne Europa nicht mehr denkbar. Da aber sehr oft Verwaltungsverfahren die öffentliche Diskussion bestimmen, ist das Europagespräch eine gute Gelegenheit, über das Mehr an Europa ins Gespräch zu kommen.

Andreas Dittmann - Bürgermeister der Stadt Zerbst (Anhalt)

Andreas Dittman - Bürgermeister Zerbst